Ich nehme den Zug nach Arosa und starte von da kurz vor halb zehn. Leider ist es neblig und kalt, aber es soll ja besser werden.
Am Anfang sind noch mehr Leute unterwegs, aber die gehen auf der Talsohle talabwärts über die neue Brücke, während ich als einzige Richtung Welschtobel wandere und erst weiter hinten die Brücke quere und Richtung Wasserfall weitergehe. Dann geht’s wieder über eine kleine Brücke. Im Juni war sie noch nicht wieder in Stand gestellt, nachdem sie im Winter unter dem vielen Schnee zusammengebrochen war. Nun existiert sie zum Glück wieder und ich kann den steilen Aufstieg zum Alteinersee in Angriff nehmen. Nun, im steilen Gelände, merke ich, dass ich einen schwereren Rucksack trage als gewöhnlich, mit jedem Schritt muss ich das zusätzliche Gewicht hochhieven, ganz schön anstrengend!
Plötzlich schiessen zwei grosse Vögel aus einem Busch auf, dann noch einer und ein Stück weiter oben begegnet mir ein Jäger, der eine erlegte Gämse auf Schultern und Kopf trägt. Ich nehme an, die wiegt schon zwischen 30 und 40 kg, also eine eindrückliche Last, die er jetzt auf diesem sehr steilen und feuchten Pfad ins Tal tragen muss.
Langsam lichtet sich der Nebel und die Sonne dringt immer mehr durch. An den Bergflanken bleibt er zum Teil noch hängen.
Immer wieder habe ich das Gefühl, da oben komme eine kleine Fläche und da sei ganz bestimmt der See, aber immer wieder werde ich genarrt. Ich kraxle auch an einem Wasserfall vorbei, aber immer noch kein See.
Als ich dann endlich doch da bin ziehen genau Wolken und Nebel wieder herein und verdecken ihn fast. Schade! Ich hätte ihn gerne fotografiert mit einer Spiegelung des Valbellahorns. Das wird leider nichts.
Ich folge dem Wegweiser Richtung Wiesen (noch 3h) und sehe dabei nicht, dass noch auf einem anderen Wiesen stand. Das wäre die Route gewesen, die ich geplant habe. Ich merke es viel später, als ich nach einer Markierung Ausschau halte und keine finde. Erst da konsultiere ich meine Karte und merke mein Versehen. Nun ja, das ist ja nicht schlimm, da dieser Weg auch nach Wiesen führt. Ich fürchte nur, dass es auf der anderen Seite des Passes sehr steil ist.
Als ich ein Schneefeld vom letzten Winter fotografiere, sehe ich weiter oben Steinböcke, als Silhouette gegen den Himmel. Fantastisch! Es sind schon eindrückliche Tiere, auch wenn ich sie nur von sehr weit weg sehe….
Weiter kraxle ich den steilen Hang hoch, immer Ausschau haltend nach den Steinböcken, die hinüber ins Geröllfeld gezogen sind. Leider sehe ich sie nicht mehr, dafür kommt mir ein Biker entgegen. Die verrückten Kerle sind auch überall. Ich hätte Panik, wenn ich hier mit einem Bike runter müsste, aber die kennen nichts!
Der Weg führt mehr nach rechts, weg von der Geröllhalde. Plötzlich höre ich hinter mir Steine kullern und als ich mich umdrehe, sehe ich die Steinböcke wieder, mitten im Geröll. Eine Herde von ca 20 Tieren. Jetzt sehe ich sie klar, aber wenn man nichts von ihnen weiss, fallen sie überhaupt nicht auf zwischen dem Geröll, wirken einfach wie grössere Steinbrocken. Als sie merken, dass ich sie beobachte, bleiben sie stehen. Über eine halbe Stunde lang stehen sie wie angenagelt und rühren sich nicht.
Der Pass ist gut 2500m hoch und es gibt einen Wegweiser nach Wiesen: immer noch 3h!!! Seit dem letzten Wegweiser am See, auf dem auch 3h stand, bin ich mindestens eine Stunde lang steil bergauf gekraxelt und jetzt soll’s immer noch drei Stunden dauern?
Auf der anderen Seite wabert der Nebel, kommt und geht. Manchmal sieht man nur weiss und dann wird die Landschaft wieder sichtbar.
Und es geht wirklich sehr steil runter, aber der „sandige“ Weg führt auf einer Wiese im Zickzack runter, sodass es nicht so schlimm ist. Weiter unten, wo es flacher ist, mache ich meine Mittagspause. Ich höre die Munggen pfeifen und ein Vogelschwarm schiesst auf. Lauter kleine Vögelchen, die wild zwitschern. Bald lassen sie sich wieder im Gras nieder.
Der Abstieg zur Alp Wiesen zieht sich hin, ist jedoch wunderschön. Ich muss allerdings aufpassen, dass ich nicht rutsche. Ich sehe ein Murmeli über die Wiese rennen….
Etwas später besteht die Vegetation aus niedrigen Bergföhren, Erika und Alpenrosenbüschen. Ich sollte mal im Juli hier Wandern, sieht sicher wunderschön aus!
Nun habe ich langsam genug. Ich bin ko. Ist ja schon blöd, dass ausgerechnet die erste Etappe die längste, steilste und anstrengendste ist, wenn man sich noch nicht an den schweren Rucksack gewöhnt hat.
Von der Alp Wiesen geht’s nochmals eine Stunde lang auf einem steilen Strässchen abwärts und ich merke langsam mein Knie, auf das ich vor zwei Wochen gestürzt bin. Es ist auch wieder geschwollen…
Nun habe ich mir mein Bett redlich verdient, ich bin wirklich fast am Ende meiner Kräfte. Morgen ist nochmals eine so lange Etappe angesagt, nur etwas weniger steil. Uff – ich weiss nicht, ob ich das nochmals hinkriege!