2. Juni – Von Étretat nach Fécamp

Die Wanderung nach Fécamp ist nicht lange, nur etwa 15km. Also kann ich es gemütlich angehen. Gleich zu Beginn kraxelt man auf die Klippe hinauf und läuft dann auf deren Rand. So öffnen sich immer wieder neue Blickwinkel auf die wunderschöne Felsenküste. Zwischendurch gehts hinunter in ein Tal und auf der anderen Seite wieder steil hoch auf die Klippen.

Heute begegnen mir viele Wanderer und Spaziergänger. Viele verbringen wohl das Wochenende am Meer und machen Ausflüge. Ich höre und sehe auch wieder viele Lerchen.

Mitte Nachmittag bin ich in Fécamp und mache mich auf die Suche nach einem Bett. Im Tourismusbüro arbeitet eine Deutsche, die irgendwann vor ca 10 Jahren hier hängengeblieben ist. Sie besorgt mir ein Zimmer bei einer netten alten Dame in einem schönen alten Haus, einer ehemaligen Fischräucherei. Ich denke: hoffentlich riecht man das nicht mehr….

Ich frage noch ein paar Sachen bezüglich meiner zukünftigen Wanderung der Küste entlang. Ich frage auch, ob es eventuell möglich sei, ein Stück mit einem Schiff zurückzulegen, da die Zeit zu knapp ist, bis Calais zu laufen. Sie meint, das sei schwierig, da hier nicht nur die Regionengrenze, sondern auch noch die Departementsgrenze verlaufe, und schaut mich bedeutungsvoll an. Ich sage: das kenne ich doch schon, und sie verdreht die Augen und grinst.
Es ist schon unglaublich, sobald es über eine Grenze geht, ist es fertig, da geht nichts. Jeder tut so, als wäre da drüben nichts.

Ich installiere mich also bei der alten Dame. Ich habe ein schönes Zimmer unter dem Dach, ein grosses Bad und ein grosser Raum, der auch noch als (gut aufgeräumter) Estrich dient mit schönen alten Spielsachen und Büchern, ist sozusagen mein Wohnzimmer mit Blick auf das Meer!

Ich mache einen Stadtrundgang ins Zentrum, schaue mir die Klosterkirche an und gehe dann zur Strandpromenade und esse in der Abendsonne. Bald wird es allerdings sehr kalt und ich gehe zurück.


Hafen von Fécamp

3. Juni – Fécamp

Am Morgen komme ich fast nicht aus dem Bett. Ich bin richtig müde und überlege mir, dass ich seit St. Anthème am 14. Mai keine Pause mehr gemacht habe. Das sind zweieinhalb Wochen. Beim Frühstück überlege ich, ob ich nicht doch hier bleiben soll. Erstens passt mir die Gastgeberin, zweitens gibt es ein gutes Frühstück ;-), drittens kann man hier in Fécamp auch etwas anschauen. Also bleibe ich.

Ich mache mir einen gemütlichen Vormittag und gehe dann ins Museum. Es ist in einem Gebäude untergebracht, in dem früher Fisch verarbeitet wurde. Fécamp muss wohl gross im Fischfang und im Fischverarbeitungsgeschäft drin gewesen sein.

Das Museum zeigt diese Geschichte, wie sich der Fischfang und die Verarbeitung im Laufe der Zeit verändert haben. Heute wird der Fisch in einem anderen Gebäude in der Industriezone verarbeitet.
Es wird auch die Geschichte der Seebäder aufgezeigt und es gibt alte Bilder von prächtigen Hotels am Strand, die dann leider im Krieg von den Deutschen zerstört wurden.

Es gibt auch einen Teil über Kinder. Es hat einen Arzt gegeben, der den Leuten das Hygiene-ABC beibrachte und dafür sorgte, dass auch Mütter, die keine oder zu wenig Milch hatten, Milch bekamen und ihr Kind mit der Flasche füttern konnten.
Und es gab damals schon eine Babyklappe bei einem Kloster. Die Schwestern kümmerten sich um solche Kinder.
Es werden auch Bilder von Künstlern aus der Region ausgestellt und noch einiges anderes.

Dann habe ich der Destillerie einen Besuch abgestattet. Da wundert ihr euch vielleicht. Aber dies ist eine ganz besondere Destillerie. Wenn man das Gebäude sieht, käme man nie auf die Idee, es sieht eher wie ein Schloss oder, von Weitem, wie eine Kirche aus.

Am Abend gehe ich noch an den Hafen. Vom Leuchtturm bei der Hafeneinfahrt aus sieht man bis zum Felsenbogen von Étretat. Ich beobachte auch die Möwen. Das sind schon unglaubliche Flugkünstler. Manchmal denkt man: die kracht gleich in die Mauer, aber eine kleine, elegante Wendung und sie fliegt über die Mauer hinweg oder macht einen Bogen.

4. Juni – Von Fécamp nach Butot-Vénesville

Leider ist es neblig, was seeehr schade ist, da ich gleich am Anfang wieder auf die Klippe steigen muss. Da diese Klippe vorspringt, hätte man auf beide Seiten einen fantastischen Blick auf die Küste. Daraus wird leider nichts.

Mit dem starken Wind ist es recht frisch. Zum Wandern ist es allerdings viel besser als wenn es so heiss ist wie vor Paris. Die Hitze zieht einem regelrecht die Energie raus und nach 20/25 km bin ich schlagkaputt. Aber so, bei diesen Temperaturen, kann ich lange laufen ohne Problem.

Eigentlich läuft man fast nie am Klippenrand, sondern weiter landeinwärts über Wiesen und Felder. Das Meer sehe ich nicht oft, ausser wenn ich in eine Bucht hinunterkomme, wo ein paar Häuser stehen.

In einem dieser Nester steht beim Strand so ein Container-Restaurant und ich denke, ich esse hier, da ich am Abend in einem ganz kleinen Dorf übernachten werde und es da wahrscheinlich kein Restaurant gibt. Die Besitzer essen gerade, als ich reinkomme und ich weiss sofort, dass ich nichts essen werde. Es gibt nur Muscheln und Co, Hamburger und Frites. Die Frites sehn „pfludrig“ aus und ich mache jede Wette, das Öl ist schon uralt…

Immer wieder versuche ich Frau Moser, die Zimmervermieterin anzurufen, erwische sie aber nie.
Als ich nach Butot komme, gibt es da einen Chemin de gîte. Da halte ich an und versuche es nochmals. Wieder nichts. Drum gehe ich weiter und sehe ein Schild gîte. Hier klopfe ich an, aber die Frau sagt, sie habe schon Gäste. Ihr gelingt es dann, diese Frau Moser zu erreichen und sie bringt mich zu ihr.

5. Juni – Von Butot-Vénesville nach Veules-les-Roses

Wieder Nebel! Und nach dem Frühstück regnet es sogar. Somit weihe ich meine neue Pelerine ein und merke bald, dass ich nur bedingt glücklich bin damit. Die Pluspunkte, die mich überzeugt hatten, sie zu kaufen waren einerseits, dass es keine Nähte hat, ausser da, wo die Kapuze eingesetzt ist und anderseits, dass es rundum Ösen hat, sodass man den Poncho aufgefaltet aufspannen kann wie ein Sonnensegel oder Regenschutz. Der Nachteil ist aber, dass seitlich unter den Armen, wo es bei meiner alten Pelerine Druckknöpfe gab, nur Klettverschlüsse sind. Je nachdem wie ich mich bewege oder bei kräftigem Wind reissen die auf und mein Poncho flattert fröhlich im Wind. Da der Regen bekanntlich aus der gleichen Richtung kommt wie der Wind, bin ich ihm ausgesetzt. Ich versuche dann, weniger fröhlich, die Ecken meines Regenschutzes zu erhaschen und sie wieder zusammenzupappen. Zu Hause werde ich vernünftige Druckknöpfe montieren müssen, sonst ist das Ding bei Wind nicht zu gebrauchen. Aber immerhin, der Poncho ist dicht und das Wasser perlt super ab, sodass er ganz schnell wieder trocken ist.

Heute stehen fast 30 km auf dem Programm. Ich will nach Veules-les-Roses. Es soll ein ganz besonders schönes Dorf sein, wird mir von verschiedenen Leuten gesagt.

Wie gestern verläuft der Weg nicht allzuoft am Meer, eigentlich nur in den Buchten, wo kleine Dörfer sind. Immer mal wieder verliere ich den Weg und komme irgendwann wieder darauf. Ich weiss nicht, ob ich wirklich eine Abzweigung verpasst habe, oder ob dazwischen einfach keine Markierungen existieren. Es ist viel schlechter Markiert als auf dem GR3.

Vorallem in den Dörfen ist es schwierig, den Weg nicht zu verlieren und prompt habe ich keine Ahnung, wo es langgeht. Man muss um ein Atomkraftwerk, das sich ganz an der Küste befindet, herumgehen. Gleich am Zaun verläuft die Strasse, der Wanderweg müsste nach meiner Karte ca 200m weiter rechts sein. Auch ohne Markierung laufe ich nach Karte. Plötzlich sieht der Weg aber sehr überwachsen aus. Ich bin zwar nicht die erste, die da durchstapft, aber viel gebraucht wird dieser Weg nicht. Nach 50m hört er einfach auf. Da, wo nach Karte ein Weg wäre, ist jetzt ein Kornfeld. Ich kann nur zurück oder am Rande des Kornfeldes in Richtung Strasse laufen. Auch da bin ich nicht die erste, aber das ist ein kleiner Trost, da ich jetzt an der Strasse wandern muss.

Nach vielleicht 2km kommt der Wanderweg von rechts und bald geht es auf der anderen Seite wieder Richtung Meer.

Ein paar Kilometer vor Veules les Roses ist die Route wieder geändert. Endlich wäre man wieder einmal auf den Klippen gewandert, aber nein, neuerdings geht es wieder landeinwärts bis zu einem Dorf, darin noch eine Ehrenrunde um die Kirche, dann geht es wieder meerwärts. Ein Umweg von mindestens 2 – 3 km, das hätte ich jetzt nicht mehr gebraucht. Ich bin müde und der Wind weht kräftig. Manchmal muss ich mich richtig dagegenstemmen oder er schüttelt mich zünftig durch.

Endlich komme ich nach Veules. Es ist wirklich sehr schön. Zum Glück finde ich die Touristeninfo auf Anhieb und die Frau organisiert mir ein Zimmer. Allerdings ist es noch ca 1,5km entfernt. Uff, jetzt reichts.

Am liebsten würde ich jetzt einfach im Zimmer bleiben und hier essen, aber dieses vielgepriesene Dorf muss ich mir schon noch anschauen. Es gibt einen schönen Rundgang und an den besonderen Orten hat es Tafeln mit Informationen.

Durch das Dorf fliesst der Fluss Veules. Ich habe zwar keine Ahnung, warum das ein Fluss sein soll. Für mich ist das maximal ein Bach. Vielleicht weil er direkt ins Meer fliesst? Oder vielleicht einfach weil er als Fluss gleich einen Rekord bricht: der kleinste Fluss Frankreichs, 1100 m lang.

Man kann zur Quelle gehen, unmittelbar nachher gibt es Kressebeete und Mühlen. Es muss einmal 11 Mühlen gegeben haben. Mindestens zwei alte Mühlräder sieht man auf dem Rundgang.
Die Veules windet sich durch das Dorf, in dem es auch viele, wunderschöne alte Häuser gibt, zum Teil noch strohgedeckt, und viele Blumen, vorallem Kletterrosen überall. Dieser Ort hat echt Charme!

Jetzt bin ich wirklich ko. Mit dem Rundgang habe ich sicher 35km oder mehr gemacht und morgen sind es nochmals 30. Meine Vermieterin meint zwar 26, aber auf der Karte sehe ich, dass es auf der Küstenstrasse schon 26km sind, der Wanderweg windet sich aber viel mehr, da muss man froh sein, wenn 30 reichen….


Veules-les-Roses

6. Juni – Von Veules-les-Roses nach Hautot-sur-Mer

Ich bin noch nicht lange gelaufen, da gibt es schon die erste Routenänderung. Wieder landeinwärts zu einem Dorf, wieder Umweg. Das kann ja heiter werden.

Mir scheint, es gebe einige Änderungen mit Tendenz weg von den Klippen ins Landesinnere, schade. Man kommt immer dann ans Meer, wenn es eine Bucht hat und diese genügend breit ist, dass da ein paar Häuser stehen und ein bisschen Strandleben stattfindet.

Natürlich sind auch viele Überbleibsel aus dem 2. Weltkrieg zu sehen, Bunker, Friedhöfe, Gedenktafeln.

Die Dörfer sind meistens schön, vorallem die alten Häuser haben einen speziellen Charme. Es sind Backstein- oder Fachwerkhäuser, manchmal kombiniert. Die Gärten sind gross, manche riesig und sie haben immer einen gemähten Rasen. Den mähen sie mit so einem Rasenmäher auf dem man sitzen kann. Das scheint ein Hobby der Franzosen zu sein 😉

Ab Ste-Marguerite-sur-Mer wandere ich lange durch den Wald. Zuerst auf schönen Waldwegen aufwärts und danach, als sich der Hang gegen das Meer neigt auf Strässchen. Links und rechts stehen riesige, alte Villen mit parkartigen Gärten. Offenbar sind hier früher viele Künstler hergekommen, Maler und Schriftsteller. Diese Strecke ist echt schön, nur bin ich leider so müde, dass ich es gar nicht mehr so geniessen kann. Ich beschliesse, in der nächsten gîte zu fragen, ob es noch Platz hat und finde auch bald ein nettes Zimmer. Uff, das wurde auch Zeit….

7. Juni – Von Hautot-sur-Mer nach Dieppe

Ich schlafe aus und frühstücke gemütlich. Da ich alleine bin, setzt sich meine Gastgeberin zu mir. Sie ist Tänzerin und macht Feldenkreis. Wir haben ein interessantes Gespräch. In den letzten Tagen bin ich einigen kritischen Leuten begegnet. Sie essen bio, regen sich darüber auf, dass Glyphosat wieder erlaubt wurde, finden, man sollte weniger Fleisch essen und möchten gerne dies und das ändern. Alle sagen, es verändere sich, zwar sehr langsam und harzig, Frankreich hinke hinterher, aber die Jungen möchten es anders haben und fangen an zu ändern. Klingt doch gut!

Die Sonne scheint, der Wind hat sich gelegt und laut Wetterbericht soll es heute einen strahlenden Tag geben. Sobald ich jedoch gegen das Meer hinunterkomme, hängt da immer noch Nebel. Ich setze mich auf eine Mauer und warte in der Hoffnung, dass sich der Nebel lichtet. Mal scheint er dünner zu werden, dann wieder nicht. Kein wesentlicher Fortschritt, also gehe ich weiter. Beim Aussichtspunkt sehe ich Weiss, also dasselbe wie die letzten drei Tage.

Bald erreiche ich Dieppe, schaue mir dies und das an, mache ein paar Fotos und arbeite mich langsam zum Touristenbüro vor. Ich möchte mich erkundigen, wo und wann ein Schiff nach England fährt. Natürlich haben die grad Mittagspause, als ich dort ankomme, also mache ich das gleiche und genehmige mir einen Salatteller.

Das nächste Schiff fährt um 18 h, das passt mir nicht, dann bin ich erst um 21h in Newhaven und es wird schwierig, eine Unterkunft zu finden. Ich entscheide mich für die Fahrt morgen um 12.30h, buche ein Hotel und bringe meinen Rucksack dahin. So ein Hotelzimmer habe ich im ganzen Leben noch nie gesehen: ein kleines Kämmerchen mit einem kleinen Fenster. Darin ein Doppelbett und quer oben drüber noch ein Einzelbett.

Ich laufe 30 Minuten zum Hafen, um das Ticket zu kaufen.

Nebelschwaden ziehen durch die Stadt. Mal ist man an der Sonne und schwitzt, im nächsten Moment wird man von Nebel eingehüllt und es ist sehr frisch. Ich sehe eine Kirche auf der anderen Seite des Hafens und plötzlich kann ich sie nur noch erahnen. Es ist ein ständiger Wechsel, aber richtig sonnig, wie prophezeit, wird es einfach nicht.

Ich merke, dass die letzten Tage streng waren und mache eine Altweiberstadtrundfahrt in einem kleinen Zug. Als er kommt stürzen sich viele Leute darauf. Ich ergattere mir einen Platz. Ich frage die Frau neben mir, ob sie wisse, wieviel es koste. Nein, sie seien eine Gruppe von 50 Leuten und alles schon organisiert und bezahlt. Uups, da bin ich in eine Gruppe geraten. Ob der ganze Zug für die Gruppe reserviert sei? Das wisse sie nicht, aber egal, so könne ich wahrscheinlich gratis mitfahren…


Schloss Dieppe


Trockenhafen, 4-stöckig

2 bis 7 Jun 2018 – Woche 7 – Von Étretat bis Dieppe